Des Söhnchens Reise beginnt an diesem zugegeben sehr windigen Sonntag ganz harmlos im wunderschönen Duisburger Stadtteil Neumühl um 12 Uhr 7. Zu dieser Zeit steigt Veikko in einen typisch "sonntagsleeren" Bus ein, der ihn zum "Landschaftspark Nord" bringt (nebenbei erwähnt ein tolles Industriemuseum, was ich wirklich empfehlen kann - und nachts ist es ansprechend beleuchtet...). Hier hat man guten Anschluß an die Straßenbahn zum Duisburger Hauptbahnhof, den Veikko gegen 12 Uhr 50 erreicht. Auf der Anzeige ein Zug nach Leipzig, 30 Minuten verspätet. Das ist meine Richtung! Aber das Herz siegt über den Verstand, ich will lieber noch 30 Minuten länger hier bleiben. So macht denn auch Würger King noch ein Geschäft an diesem Sonntagmittag... Seltsam nur, daß sich die Verspätungen häufen und alle verspäteten Züge aus Richtung Düsseldorf kommen, aus der in einer guten halben Stunde auch mein ICE einfahren soll...
Pünktlich 13 Uhr 46 stehe ich am Bahnsteig, angezeigt wird ein verspäteter Intercity nach Dortmund. Dann eine Durchsage: "Ihr ICE nach Berlin wird wegen Oberleitungsschaden umgeleitet über Wuppertal nach Dortmund. Bitte benutzen Sie den gleich einfahrenden Intercity bis Dortmund, Ihr Anschluß wartet dort." Okay, kein Problem. Ein trauriger Abschied, und Veikko sitzt (fast ganz allein) im inzwischen eingefahrenen Intercity. Aber der fährt nicht. Nach 5 Minuten eine weitere Durchsage: "Dieser Intercity endet wegen Lokschaden hier in Duisburg." Punkt. Schluß. Aus. Kein Wort darüber, wie es weitergeht. Der Infoschalter! - ist mein erster Gedanke. Raus aus dem Zug, runter die Treppe, und ich kämpfe mich durch den Bahnhof. Irgendwo (Gleis 8?) erscheinen Menschenmassen. Ah, ein Zug ist gekommen. Ein Blick auf die Anzeige: S1, Dortmund. Blitzentschluß, ich haste die Treppe hoch und drängle mich mit in die (logischerweise überfüllte) S-Bahn.
Also ein ICE ist schneller. Nur langsam zuckeln wir durch den Pott, und die Hoffnung auf den wartenden ICE in Dortmund schwindet von Minute zu Minute. Dann, irgendwo auf freier Strecke in Bochum, ist endgültig Feierabend: "Aufgrund des Sturmes ist die Lok schwer beschädigt worden. Hilfe ist angefordert. Ich will Ihnen nichts vormachen. Wie lang das dauern wird, weiß ich nicht. Kann ne Stunde, kann auch länger sein." Und so sitze ich nun däumchendrehend irgendwo in Bochum, harre der Dinge, die da (nicht) kommen und kann nichts tun. Was ich nicht vergessen werde, ist der Ruhrpott-Prolo, der in sein Handy schreit:" Ey, boah, ey, Du voll Chaos hier. Ey, Du, Lok kaputt. Nichts geht mehr." - Seither weiß ich, woher die Macher von "Manta, Manta" ihre Inspirationen bekamen...
20 Minuten später das gleiche Bild. Wir stehen immer noch, es fahren auch auf den anderen Gleisen keine Züge. Den morgigen Arbeitstag vor Augen, entschließe ich mich, dem Beispiel einiger anderer Fahrgäste zu folgen und klettere aus dem Zug - jaja, ich weiß, das darf man nicht. Veikko kämpft sich durch dichtes Gestrüpp, stiehlt sich durch einen fremden Garten, um sich endlich in einem menschenleeren Industriegebiet wiederzufinden. Seine Idee: Ein Taxi nach Dortmund, und dann einfach weitersehen. Aber woher in dieser Einöde ein Taxi bekommen? Handy ist zwar vorhanden, aber unter welcher Nummer erreiche ich ein Taxi?
10 Minuten später finden wir Veikko immer noch irgendwo in Bochum. Er hat sich inzwischen einem Typen angeschlossen, der - da schau her - aus dem gleichen Zug geklettert ist und ebenfalls ein Telefon sucht. Immerhin hat er einen Stadtplan, und so haben die beiden wenigstens ein Ziel vor Augen. Daß sie auf ihrem Weg in belebtere Gefilde beinahe von herunterfallenden Ästen erschlagen, von Regenschauern durchnäßt und durch den immer noch wehenden Sturm total ausgekühlt werden, sei nur nebenbei erwähnt. Endlich finden wir eine Telefonzelle. Aber - wie sollte es anders sein - kein Telefonbuch da. Dann ein erster Lichtblick - da ist ein Taxibetrieb!
Wieder 10 Minuten später sitzt Veikko in einem Taxi nach Dortmund. Der Fahrer erzählt, daß er grad vorhin jemanden nach Bochum Hbf gefahren hat, der weiter nach Magdeburg will. "Das ist auch meine Richtung." bringt Veikko hervor. Nach einer halben Stunde Fahrt (und um 50 Mark ärmer) ist Veikko endlich am Dortmunder Hauptbahnhof - im totalen Chaos. Der Intercitybahnsteig ist überfüllt mit Menschen, die irritiert herumstehen und nicht wissen, wie es weiter geht. Es ist inzwischen halb fünf, und Veikko wär normalerweise schon fast in Hannover. Nach einer Viertelstunde Anstellen sind wir endlich am Serviceschalter. "Nach Dresden? (Mitleidiger Blick). Also erstmal Richtung Berlin. Hier, 15 Uhr 24 ist noch nicht durch. Sie können auch versuchen, den 15 Uhr 9 zu nehmen, der steht auch noch aus. - Nein, wann hier wieder was fährt, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Keine Ahnung." - und genervt wendet sich die Dame dem nächsten zu (sie tat mir trotz allem leid, denn sie mußte den "Blitzableiter" für aufgebrachte Reisende spielen).
Krisenmanagement. Wie geht es weiter? Was wird morgen mit Arbeiten? Wie krieg ich das mit dem Abholen in Dresden hin? Komm ich heut überhaupt noch weg? Soll ich wieder zurück nach Duisburg? Aber wie? Und geht das überhaupt?
Ein erster Anruf in Duisburg. Nur der Anrufbeantworter, Veikko bittet um Rückruf. Ein zweiter Anruf bei der Auskunft. Ja, die haben ne Nummer für mich. Anruf Drei bei der Chefin. Glück gehabt, sie ist zu Hause. Ja, sie weiß Bescheid, Veikko soll sich morgen melden. Und wieder die Auskunft. Telefonnummer vom Flughafen Dresden. Ein fünfter Anruf, leider ist meine Schwester grad nicht aufzutreiben, immerhin bekomm ich eine Durchwahl. Schließlich, Anruf Sechs, erreicht ich sie. Ja, ich meld mich, wann ich in Dresden bin.
Nunmehr heißt es einfach nur Warten. Endlich, kurz vor halb sechs, eine Durchsage:"Der Intercity nach Leipzig hat voraussichtlich 30 Minuten Verspätung. Es fährt jetzt ein verspäteter ICE nach Berlin." - He, ein Lichtblick. 30 Minuten sind nicht gleich 2 Stunden (wie die anderen Züge). Ein kurzer Blick auf den Fahrplan, beide Züge kommen aus der gleichen Richtung. Also scheint sich da was zu tun. Veikko faßt den Entschluß, den (natürlich überfüllten) ICE "sausen" zu lassen und auf den Leipziger Intercity zu warten. Eine richtige Entscheidung, denn wir verlassen mit nur 10 Minuten Verspätung Dortmund (daß ich eigentlich schon in Magdeburg wäre, sei nur nebenbei erwähnt). Als der Rückruf aus Duisburg kommt, kann Veikko verkünden, daß erstmal alles erledigt ist und er niemandem zur Last fallen muß...
Auf der Fahrt baut sich die Verspätung weiter auf, teilweise wird das Gleis gewechselt und wir sehen umgestürzte Bäume auf den Schienen liegen. Gegen halb elf erreichen wir Leipzig...
22 Uhr 54 soll es mit einem ICE aus Frankfurt weitergehen Richtung Dresden. Dieser hat "nur" 10 Minuten Verspätung. Aber es ist Fahrplanwechsel, alles ist neu, auch für die Bahn. Der ICE besteht aus 2 Teilen, von denen einer in Leipzig bleibt, der andere weiter nach Dresden fährt. Aber welcher Teil? Laut Bahnsteigplan der hintere, aber da steht dran "Frankfurt-Leipzig". Die Bahner schicken uns nach vorn. Dort weiß die "Mitropafrau" von nichts. Nein, dieser Teil endet hier. Also wieder Kommando zurück - die Massen wieder nach hinten. Aber richtig sicher ist sich niemand, selbst die Bahner nicht. Endlich, nach ner Viertelstunde Ungewißheit, ist auch das geklärt. Der hintere Teil ist der Richtige. Irgendwann erlischt die Anzeige "Frankfurt-Leipzig, Wagen 32", kurz darauf erscheint "Frankfurt-Dresden, Wagen 22" (Seien Sie bei Ihrer nächsten Bahnreise darauf gefaßt, daß Ihr reservierter Sitzplatz während der Fahrt plötzlich 5 Wagen nach vorn wandert ;-) ). Ja, damit waren aus 10 Minuten 25 Minuten Verspätung geworden, Anschlüsse nach Pirna gibt es laut Plan auch nicht mehr, so muß denn mein Schwesterlein herhalten und darf sich auf den Weg nach Dresden machen (mein Handy beschwert sich inzwischen auch schon über den fast leeren Akku).
In Dresden sind es über 30 Minuten Verspätung. "Nein, die haben nichts gesagt, daß Ihr später kommt". Daß wir auch nicht durch eine Lautsprecherdurchsage begrüßt werden, fällt kaum noch auf...
Halb zwei bin ich endlich zu Hause, im Finstern fall ich noch in eines der aufgebuddelten Löcher, unser Garten gleicht nämlich zur Zeit einer Mondlandschaft...
P.S.: Damit mich niemand falsch versteht: Für Sturmschäden, gerissene Oberleitungen, kaputte Loks und ähnliches kann die Bahn nichts. Und daß die Sicherheit vorgeht, ist logisch. Aber die mangelnde Organisation und fehlende Information ("Wie geht es weiter?") der Reisenden sowohl in Duisburg, als auch in Dortmund und in Leipzig, das könnte man besser machen. Zumindest meint das Euer Söhnchen ;-).
28.05.2000